Tintoretto – A Star Was Born #002

Während der stillen Tage in Finnland musste ich immer wieder an den Venezianer Tintoretto denken, dem ich 2018 im Wallraf-Richartz-Museum begegnete.
Damals feierte Köln, parallel zu Venedig und anderen europäischen Städten, sein 500. Geburtstag. Von Roland Krischel mit der Ausstellung „Tintoretto – A Star Was Born“ furios in Szene gesetzt.
Zu entdecken gab es rund 40 Bilder aus seinen frühen Jahren, die seine Wildheit, Rauheit, seinen Expressionismus und Innovationsleistung zeigten. Seinen Hang zur Gigantonomie, den künstlerischen Mut, ein Anker in die Zukunft des „furchterregendsten Intellekts, den die Malerei je gehabt hat“, so ein erfurchtsvoller Zeitgenosse.

Jacopo Robusti, gen. Jacopo Tintoretto

wurde 1518 in Venedig, „der sanftesten und perfidesten aller Städte der Welt“ geboren, kurz nach Luthers Thesenanschlag, wo er arbeitete, lebte und 1594 starb. Bekannt wurde er unter dem Namen Tintoretto (das Färberlein), abgeleitet vom Handwerk seines Vaters, wo er angeblich bereits in jungen Jahren mit Graffitis von sich reden machte, die er auf die Wände der väterlichen Färberei kritzelte.

Das aggressive Energiebündel begriff das Bild als Bühne. Rastlos, getrieben und immer in Bewegung, war einer der herausragendsten Vertreter des Manierismus, eine kunsthistorische Epoche zwischen 1520 und 1600 und laut Wikipedia „eine Form der Spätrenaissance, oder um einen Übergangsstil zwischen Renaissance und Barock, die ihren Ursprung in Italien hatte, mit Zentren in Rom und Florenz. Der Manierismus basiert ursprünglich auf der Idee, dass ein Künstler seinen ganz eigenen Stil, die maniera, entwickeln und hervorheben solle. Dabei werden alle technischen Möglichkeiten zu einer extremen Gestaltung ausgeschöpft.“ Und das tat er, gemäß seinem Wahlspruch: „Von Michelangelo die Zeichnung, von Tizian die Farbe“.

Lifestyle, Werk und Epoche

Zwölf Jahre war Tintoretto alt, als 1530 für Italien die längste Friedenszeit begann, die pax hispanica. Sie bescherte dem zuvor heftig umkämpften Land mit seinen rivalisierenden Stadtstaaten 200 ruhige Jahre.

Die Renaissance weist zahllose Parallen zur heutigen Zeit auf, was diese Epoche seit jeher für mich so interessant und faszinierend macht. Neue Kontinente wurden entdeckt, neue Technologien hielten Einzug, es war die Hochzeit der Städte und Stadtstaaten, die Entdeckung der Perspektive in der Malerei …

Zwanzig Jahre zuvor implodierte innerhalb weniger Stunden die Vormachtstellung Venedigs vom Mittelmeer bis Asien. Die Geschichte Europas wurde hektisch umgeschrieben, im Norden trat Martin Luther auf den Plan und im Süden eroberte der Sultan von Konstantinopel weite Teile des Mittelmeers – das osmanische Weltreich, an das der kleine Sultan Erdogan so gerne anknüpfen würde.

Portraits, Skizzen, Skandale und Rekorde

Beeindruckt haben mich in Köln seine Portraits, die Gesichter plastisch beleuchtet und herausgearbeitet, vor dunklem bis schwarzem Hintergrund und an psychologische Studien erinnernd. Ebenso seine (expressionistischen) Skizzen, voller Dynamik und Bewegung, alles wie atemlos hingeworfen und gezeichnet, Szenen, die immer wieder an Filme erinnern.

1548 wurde er mit einem Bild zum Star – mit Der heilige Markus rettet einen Sklaven vor dem Märtyrertod. Wikipedia: „Das Bild ist übervoll von aufsehenerregenden Dingen, eigenartigen Verkürzungen von Armen und Körpern, unperspektivischen Ansichten, anatomischen Ungereimtheiten, die nur darauf ausgerichtet sind, Aufsehen zu erregen. Mit stürmischer Entschlossenheit verfolgte Tintoretto das ein Ziel, die venezianische Kunstszene vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Das gelang ihm, wie er überhaupt mit Skandalen und einem aggressiven Marketings Meilensteine setzte. Und so schuf er trotz, vielleicht auch gerade wegen seiner kleiner Statur auch das grösste Gemälde der Welt: das sieben Meter hohe und 22 Meter breite Paradies.

Eine besondere Rolle spielte die Darstellung von starken Frauen. Mal Heldinnen, mal Huren, mal sinnlich, dann wieder unschuldig und fromm, mal verführerisch, mal Opfer sexueller Gewalt. Wie überhaupt, so Wikipedia, malte er gerne:

„Randgruppen der Gesellschaft, Sklaven und Pestkranke (1548), er brachte intime Familienszenen auf die Leinwand, wie in dem Gemälde Venus, Vulcanus und Cupido von 1555, wo dem Kind die Brust gereicht wird. Tintoretto erfand Welten, erzählte Geschichten, die nicht immer nur aus der Bibel stammten und ging sehr spielerisch mit dem Verhältnis von Fantasie und Wirklichkeit um. Seine künstlerischen Ziele verfolgt er mit einer Inbrunst, die nicht selten Freundschaften zerstört und bisher Vertraute zu Feinden machte.“

Tintoretto und das Licht

Neben der Dynamik und den atemberaubenden, oft verzerrten und verdrehten Perspektiven, spielte das Licht eine wesentliche Rolle in seinen Bildern. Eva Clausen in der NZZ vom 11.4. 2012:

„In Tintorettos Gemälden spielt das Licht die Hauptrolle. Es dominiert den Bildaufbau, teilt die Fläche in Segmente, in denen die einzelnen Handlungen wie gerafft festgehalten sind, um dann in ein Ganzes zusammenzufliessen. Das Licht fällt nicht wie ein scharfer Strahl ein, wie dies einige Jahrzehnte später in den Werken des Meisters der Hell-Dunkel-Malerei, Caravaggio, der Fall sein sollte, sondern zuckt durch die Leinwand, flimmert, leuchtet wie wundersam aus unbekannter Quelle auf und erlischt. Es ist kein statisches, sondern ein dynamisches Licht. Um dies zu erzeugen, bediente sich Tintoretto einer selbst erfundenen Methode: Er grundierte die Leinwand vorab mit einer dunklen Farbschicht, aus der er dann – ohne jede Vorzeichnung – die Figuren magisch leicht mit raschen Pinselstrichen hervortreten liess. Eine «impressionistische» Arbeitsweise, die ihm zudem viel Zeit ersparte. Und Zeit, die hatte Tintoretto keine.“

Tintoretto starb am 31. Mai 1594 im Alter von 75 Jahren. Er hinterliess 500 Bilder, darunter auch Wand- und Deckengemälde für den Dogenpalast. Der Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher Roland Krischel:

„Die Malerei erlaubte es ihm, auf Augenhöhe mit den Theologen seiner Zeit sich einzumischen in spirituelle Diskussionen, nämlich durch sehr ausgeklügelte ungewöhnliche originelle religiöse Bilder.

Ein typischer Tintoretto

Ein typischer Tintoretto ist ein Gemälde, in dem eine Parallelwelt entfaltet wird, erfüllt von dynamischem Bildgeschehen. Das Ganze mit temperamentvollem Pinselstrich auf die Leinwand gebracht, sodass der Betrachter in das Bild verwickelt wird.“

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